Bist du Fotograf oder Technikfreak? Was soll diese Frage? Seit über 50 Jahren fotografiere ich. Dabei sind mir manche Eigenheiten bei fotografierenden Menschen aufgefallen. Vielen Kamerakäufern geht es um die Fototechnik. Ich nenne sie einfach mal Technikfreaks. Von diesen Technikfreaks lebt eine ganze Industrie. Ernsthafte Fotografen sind da eine klare Minderheit. Ich beschreibe euch einfach einmal verschiedene Erfahrungen, die mich zu diesem Eindruck geführt haben.
Technikfreaks im Fotohandel
Von 1981 bis 1992 war ich als Fachverkäufer im Foto-Einzelhandel tätig. Sehr schnell ist mir aufgefallen, daß es vielen Kamerakäufern in erster Linie um die Technik geht. Die wenigsten haben sich die Frage gestellt: Was will ich damit fotografieren? Anfang der 80er Jahre gab es die ersten Programmautomatiken. Technikfreaks mussten solch eine Kamera besitzen. Auch die Menschen, welche den Zusammenhang zwischen Blende, Verschlußzeit und ISO nicht kannten und auch nicht lernen wollten. Mit einer Programmautomatik konnte man richtig belichtete Fotos machen. Denkste. Ohne das Grundwissen nützt die beste Automatik nichts. Die meisten dieser Käufer machten weiterhin langweilig geknipste Bilder. Die erste Kamera mit Matrix-Belichtungsmessung verbesserte die Quote an korrekt belichteten Fotos enorm. Und als die erste Spiegelreflexkamera mit Autofokus auf den Markt kam, machte man weniger unscharfe Fotos. Waren die Bilder dadurch besser? Ohne fototechnischem und bildgestalterischen Grundwissen selten. Man hatte lediglich öfter korrekt belichtete und scharfe Bilder. Das ist im großen und ganzen auch heute noch so. Viele Kamerakäufer kaufen eine Kamera, welche sie nicht verstehen und deswegen die fotografischen Mögichkeiten nicht ausschöpfen können.
Technikfreaks im Fotoclub
Ende des letzten Jahrtausends war ich ein paar Jahre Mitglied in einem Fotoclub. Auch dort gab es Technikfreaks. Wobei es sich um überwiegend engagierte Fotoamateure gehandelt hat. Die meisten kannten den Zusammenhang von Blende, Verschlußzeit und ISO. Vereinzelte Fotoclub-Mitglieder haben im Prinzip wie ein Profi gearbeitet. Bildidee und danach ging es an die Umsetzung. Die Fototechnik war in erster Linie Werkzeug. Und dann gab es auch einige, die Fachwissen hatten, dieses allerdings nicht gezielt einsetzen konnten. Theorie Note 1. Praxis Note 5 oder sogar 6. Keine Ahnung warum manche Menschen theoretisches Wissen nicht in der Praxis umsetzen können?
Technikfreaks kaufen Fotozeitschriften
In den 80er Jahren kam die Fotozeitschrift FOTO CREATIV auf den Markt. Vier Ausgaben gab es pro Jahr. In der Zeitschrift ging es in erster Linie um Bilder. Fotos von den Lesern. Die Leser konnten gegen eine Gebühr ihre Fotos einsenden. Die vermeintlich 200 besten wurden von einer Jury vorausgewählt und in in der Zeitschrift vorgestellt. Aus dieser Auswahl konnten die Leser ihre Favoriten wählen. Die ersten zehn Fotos mit den meisten Stimmen, erhielten Geldpreise. Ich habe damals oft an dem Fotowettbewerb teilgenommen. Ein paar Geldpreise konnte ich auch gewinnen. In den 90er Jahren fusionierte der Verlag die Zeitschrift FOTO CREATIV und COLOR FOTO. Der Fotowettbewerb wurde im COLOR FOTO einige Jahre fortgeführt. Irgendwann wurde auch der Fotowettbewerb aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Die Teilnehmer des Fotowettbewerbes waren eine viel zu kleine Zielgruppe. Seitdem konzentriert sich die Zeitschrift COLOR FOTO hauptsächlich auf das Testen von Fotogeräten. Damit erreicht man eine größere Leserschaft. Das ist vermutlich die größtmöglichste Zielgruppe. Inzwischen ist der Schwerpunkt der meisten erfolgreichen Fotozeitschriften, das Testen von Fotogeräten. Der Löwenanteil einer heutigen Fotozeitschrift ist mit der Vorstellung neuer Produkte und Tests von Fotogeräten ausgefüllt. Das Foto ist meist nur Nebensache. Warum ist das so? Weil sich die meisten Menschen für die Technik interessieren. Entweder will man sich über eine neue Kamera informieren. Oder man ist neugierig welche neuen technischen Features die Hersteller entwickelt haben. Nun handelt es sich hier fast immer um Labortests. Damit kann man sicherlich einige technische Eckdaten wie Bildschärfe und optische Fehler auf eine Vergleichsbasis bringen. Aber die Anwendung in der Praxis und der individuelle Charakter mancher Linsen kann man nicht testen oder vergleichen.
Technikfreaks im Internet
Als ich diesen Blog vor über 11 Jahren gestartet habe, wollte ich über meine Art der Fotografie berichten. Ich habe meine Fotos präsentiert und die Entstehungsgeschichten dazu erklärt. Fotoberichte und etwas über die Fotogeschichte folgten. Als ich mit der Stockfotografie begann, kamen Berichte über diese Vermarktungsmöglichkeit dazu. Von manchem Fotogerät habe ich über meine Eindrücke in einen Praxisbericht berichtet. Erstaunliches brachte die jüngste Auswertung der am meisten besuchten Seiten des Blog zum Vorschein. Die Seiten über die Praxisberichte werden am häufigsten gesucht, gefunden und gelesen! Ich bin im Prinzip das Gegenteil eines Technik-Nerds. Wenn ich eine Fotoidee habe, stellt sich mir lediglich die Frage, mit welchem Fotogerät erhalte ich das gewünschte Ergebnis in der gewünschten Qualität. Offenbar gibt es einen hohen Informationsbedarf über Kameras und Objektive? Als Blogger finde ich es allerdings schade, daß die Besucher lieber nach Fototechnik suchen und wenig oder kaum Interesse an meinen Fotografien und den anderen Blogartikeln haben?
Fazit Fotograf oder Technikfreak
Anders gefragt: Gibt es auch unter Berufsfotografen Technikfreaks? Wenn überhaupt, ist das ein Einzelfall. In vier Jahren Fotogroßhandel habe ich mehrere hundert Berufsfotografen kennen gelernt. Ein Berufsfotograf denkt zielorientiert. Ich habe einen Auftrag. Welche Ausrüstung benötige ich, um den Auftrag nach Kundenwunsch effizient umsetzen zu können. Klar, muß der Fotograf Wissen über die Aufnahme- und Fototechnik haben. Aber die Technik ist lediglich Mittel zum Zweck. Kamera und Objektive sind lediglich ein Arbeitswerkzeug.
Ganz anders ist die Denkweise bei Knipsern und vielen Hobbyfotografen. Eine teure Kamera macht bessere Fotos. Das scheint ein nicht auszurottender Irrglaube zu sein. Nicht die Kamera, sondern der Fotograf macht das Foto. Der Preis einer Kamera und eines Objektives haben wenig Einfluß auf ein gutes Foto. Aber vielleicht ist hier auch die Werbung der Kameraindustrie schuld? Diese wollen natürlich ständig neue Produkte verkaufen. Da klingen technische Highlights super und verkaufsfördernd. Und der fototechnische Laie denkt sich, toll was die alles kann. In den wenigsten Fällen wird man alle technischen Möglichkeiten voll ausnutzen. Dennoch erscheint es manchen Knipser zu beruhigen, daß er all den technische Schnickschnack hat. Je mehr Millionen Pixel meine Kamera hat, desto besser. Unsinn. Was nützen 48 Mio Pixel an einer Smartphone-Kamera, wenn der Aufnahmesensor zu klein dafür ist. Warum gibt es dann Smartphone mit 48 Mio Pixel? Weil sich ein Produkt mit 48 Mio Pixel besser und teurer verkaufen lässt als eines mit 16 Mio Pixel. Mal abgesehen davon, daß die meisten Smartphone-Linsen das gar nicht so hoch auflösen können. Dennoch wecken solche Features die Kauflust bei Technikfreaks.
Die Gründe warum ein Mensch ein Technikfreak sein kann, können unterschiedlich sein. Manchmal aus Prestigegründen. Die teuerste oder neueste Technik zu haben gefällt manchen Menschen. Sie meinen damit andere Menschen beeindrucken zu können. Ich kann mir das neueste Kameramodell oder das tolle Supertele leisten. Das steigert beim Technikfreak das Selbstwertgefühl. Sicherlich spielt auch eine Portion Psychologie eine Rolle. Aber in dem Bereich bin ich wirklich kein Experte. Bei einigen Technikfreaks spielt das Geld keine Rolle. Es ist da und deswegen gönnt man sich die neueste Technik.
Und dann gibt es noch die Technikfreaks, welche sich nicht immer die neueste Technik leisten können. Ich würde sie als Theoretiker bezeichnen. Oft sind das wandelnde Lexika der Fototechnik. Sie wissen scheinbar alles über Fototechnik? Die kennen die Details der aktuellen Fotokameras. Die können einem sagen, was wofür optimal wäre.
Weitere Technikfreaks sind die Pixelpeeper. So werden fotografierende Menschen genannt, welche die Bilddetails in sehr hoher Vergrößerung am Monitor beurteilen. Die Qualität eines Objektives ist nicht nur auf die Auflösung und Schärfeleistung begrenzt. Auch die Reduzierung von optischen Fehlern ist nicht alleine das, was den Charakter und Charme eines Objektives ausmacht. Das gleiche gilt für den Sensor einer Kamera. Pixelpeeper streben nach maximaler Auflösung, Schärfe und am besten keine optische Fehler. Die Physik lässt sich nicht immer 100%ig ausschalten. So gibt es selbst bei sehr gut berechneten und konstruierten Objektiven fast immer auch die ein oder andere Schwäche. Bei teureren Produkten meist im geringerem Umfang als bei günstigeren. Darüber hinaus gibt es ganz andere Faktoren die ein Objektiv ausmachen können. Manche Filmleute bevorzugen gerne ein Objektiv, was tolle Flares bei Gegenlicht machen. Der Pixelpeeper wird solch ein Objektiv als Scherbe bezeichnen. Mancher Fotograf möchte bei einer Lichtquelle einen Blendenstern haben. Ein anderer findet das unnatürlich oder störend. Fans von schönem oder ungewöhnlichen Bokeh werden solch ein Objektiv über alles lieben. Ein anderer wird es als fehlerhaft bezeichnen oder ihm gefällt der Bokeh-Charakter einfach nicht. Alles eine Frage des persönlichen Geschmackes. Und der kann bekanntlich unterschiedlich sein.
Maximal 1% der Profikameras werden an Berufsfotografen verkauft. Die restlichen 99% werden an Hobby- und Freizeitfotografen verkauft. Somit finanzieren die finanzkräftigen Freizeitfotografen die Kameras für Berufsfotografen! Ohne diese wäre keine wirtschaftliche und bezahlbare Produktion realisierbar. Unter den Hobby- und Freizeitfotografen befinden sich auch viele Technik-Nerds. Nerds im positiven Sinne. Von den Technikfreaks lebt die Kamera-Industrie. Ohne Technikfreaks gebe es kaum noch eine technische Weiterentwicklung. Wir brauchen weiterhin möglichst viele Technikfreaks, welche ihr Wissen über die neueste Fototechnik in der Welt verbreiten. Wir brauchen sie, damit die Fotoindustrie weiter neue innovative Fotogeräte entwickelt und zum Kauf anbietet.
Ich sehe mich in erster Linie als Fotograf. Wenn ich eine Bildidee habe, versuche ich diese mit dem passenden Werkzeug umzusetzen. Aber manchmal werde ich auch ein wenig zum Technikfreak. Dann wenn ich eine neue Kamera kaufen will. Oder wenn ich für eine Fotoaufgabe die passende Technik suche, weil meine verfügbare Fototechnik die Aufgabe nicht realisieren kann. Dann geht erst einmal die technische Recherche los. Was gibt es da? Kann das mein vorhandes Kamerasystem durch Zubehör auch realisieren? Infoquellen sind für mich derzeit das Internet mit Suchmaschinen, Youtube und Foto-Foren.
Ich würde mich zu 95% als Fotograf und 5% Technikfreak bezeichnen. Wie ist das bei euch? Seid Ihr mehr Fotograf oder Technikfreak?
Hallo Bernd,
ich bin voll und ganz Deiner Meinung! Neu war mir Dein Anmerkung, dass die Technik-Nerds das Überleben der Kameraindustrie sichern. Na, ja! Mein Anteil purer Fotograf/Technik-Nerd entsprich etwa dem deinigen.
Zu dem von Dir angesprochenen Thema habe ich mich auch schon auf meiner Seite geäussert.
Ich mag die Technik schon auch sehr. Vor allem, wenn ich an Grenzen stoße. Wenn die Auflösung auf dem 60cm Druck körnig aussieht suche ich mehr Auflösung. Wirkt der Druck unscharf, arbeite ich mit Stativ und Auslöseverzögerung. Wenn mich auf Konzerten das „Klack“ nervt suche ich eine Kamera mit lautloser Auslösung. Wenn der AF den fliegenden Vogel nicht scharf bekommt freu ich mich über besseren AF mit Motiverkennung.
Am Ende zählen die Fotos, und wenn ich nicht weiß, wofür ich Fotos machen will, nehme ich die Kamera gar nicht erst mit.